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artnäckig hält sich das Vorurteil, dass in einer Ehe der eine immer ein bisschen mehr liebt als der andere. Es herrsche somit ein Ungleichgewicht. Doch stimmt das so? Oder steckt hinter dem Gefühl etwas anderes? Sich darüber Gedanken zu machen, kann sinnvoll sein, um die eigene Beziehung ins richtige Licht zu rücken und unnötigen Herzschmerz zu vermeiden.

Hirngespinst oder Realität: Ungleichheit der Liebe in der Ehe

Vielleicht hat dir dein bester Freund erzählt, dass er seinen Partner mehr liebt als dieser ihn. Vielleicht hast du selbst den Eindruck, du würdest mehr Liebe in deine Ehe investieren als dein Ehepartner. Oder ist es genau andersherum? Solche Gedanken sind keine Hirngespinste per se, denn dies kann tatsächlich so sein. Häufiger begründen sie sich allerdings in einer subjektiven Wahrnehmung.

Wir glauben nur, dass wir unseren Partner mehr lieben, denn wir erkennen seine Liebe nicht im ganzen Ausmaß. Das kann tragische Konsequenzen haben.

Wer nämlich meint, mehr in die Ehe zu investieren als der Partner, schlittert schnell in eine Ehekrise und zweifelt an der Beziehung. Bevor das Urteil „Ich liebe dich mehr als du mich“ fällt, sollte sich mehr Gedanken über die Art der Liebesbezeugung gemacht werden.

Es liebt NICHT IMMER einer mehr

Paare mögen zwar den Eindruck haben, dass der eine mehr liebt als der andere und gelegentlich stimmt dies, aber es ist falsch zu sagen: IMMER liebt einer mehr. Hinter diesem Gefühl steckt meist etwas anderes: Die Partner zeigen auf unterschiedliche Weise, wie sehr sie den anderen lieben und schätzen. Jeder von ihnen empfindet seine Art selbstverständlich als „die richtige“. Die scheinbar „falsche“ Art des Ehepartners erscheint dann so, als würde weniger Liebe von dieser Seite kommen. Fakt ist vielmehr: Das Ehepaar kommuniziert bei seinen Liebesbezeugungen nur aneinander vorbei. Damit ist die ganze Angelegenheit nur ein Missverständnis.

Die fünf Liebessprachen nach Gary Chapman

Wenn es um das Thema Liebesbezeugungen geht, wird gern der US-amerikanische Paartherapeut Gary Chapman herangezogen, der Anfang der 1990er Jahre die Theorie der „5 Sprachen der Liebe“ aufstellte. Nach dieser Theorie bevorzugt eine Person eine der fünf Liebessprachen:

  • Zeit zu zweit
  • Geschenke
  • Hilfsbereitschaft
  • Intimität
  • Lob und Anerkennung

Ein Beispiel: Achim bevorzugt Hilfsbereitschaft als Liebesbeweis und sieht Geschenke als weniger bedeutsam an. Als Weihnachten naht, gerät er mit seiner neuen Freundin Claudia in Streit. Für sie sind Geschenke der höchste Liebesbeweis, weswegen sie bereits Wochen vorher mit Aufwand und Mühe ausgefallene Präsente und schöne Verpackungen dazu auswählt. Er hingegen stört sich daran, dass Claudia ihm nicht dabei hilft, die Weihnachtsbeleuchtung aufzuhängen und das Festtagsmenü für die Freunde zu planen. Für ihn ist dies ein Zeichen mangelnder Hilfsbereitschaft. Claudia ist schließlich am Heiligabend enttäuscht, von Achim nur ein kleines Geschenk zu erhalten. Beide haben ohne Zweifel aneinander „vorbeikommuniziert.“

Damit dies nicht passiert, ist es wichtig, dass sich das Paar besser kennenlernt. Nur so kann es seine Liebessprache synchronisieren und die Verhaltensweisen des anderen übersetzen. Auf einmal gibt es kein Ungleichgewicht in der Liebe mehr. Jeder weiß vom anderen, wie er Liebe ausdrückt.

Blick aufs Bindungsverhalten

Das Konzept der fünf Liebessprachen nach Gary Chapman ist nur ein Ansatz, um die Art und Weise der Liebesbeteuerung des anderen besser einschätzen zu lernen. Eine andere Möglichkeit ist, das Bindungsverhalten näher zu betrachten: Es gibt Menschen, die fest an die Liebe auf den ersten Blick glauben und in die Partnerschaft mit 100 % Einsatz starten. Zweifelsohne bleibt dann nur noch wenig Entwicklungsmöglichkeit nach oben. Andere Personen verfolgen bei der Liebe – bewusst oder unbewusst – einen wachstumsorientierten Ansatz. Für sie gedeiht die Liebe mit der Zeit, weswegen sie zu Beginn oft etwas verhaltener sind.

Sie starten nicht mit 100 % in die Beziehung, sondern eher mit soliden 70 %. Somit besteht noch Ausdruckspotenzial nach oben.

Keine der beiden Varianten an Beziehungsverhalten ist besser oder schlechter als die andere. Es ist eine Typfrage – und manchmal auch der generellen Situation im Leben geschuldet. Stößt nun ein 100%-Partner auf einen 70%-Partner, ist der eine vom anderen rasch irritiert. Der eine meint, es würde etwas fehlen, während der andere sich mit Liebe überfrachtet fühlt.

Wie ist unser Verständnis von Liebe?

Bereits an diesen wenigen Ausführungen zeigt sich, dass du mit deinem Partner gemeinsam herausfinden musst, wie Liebe gezeigt wird und wie Liebe gelebt wird. Auf diese Weise klären sich zahlreiche Missverständnisse. Vielleicht wünscht sich der eine pure Romantik mit Kerzenschein und roten Rosen. Für den anderen ist all dies nicht wichtig, was aber nicht bedeutet, dass er seinen Ehepartner weniger liebt.

Und genau hier liegt der sprichwörtliche Hund begraben. Es ist unerlässlich, die Art und Weise, wie der Partner Liebe ausdrückt, zu verstehen und diese gelten zu lassen.

Leider ist dies nicht in jeder Ehe der Fall. Der eine meint, der andere würde ihn weniger lieben, nur weil er nicht so romantisch ist wie er selbst. Ist das einmal verstanden worden, entsteht ein Aha-Effekt, der eine neue und bessere Annäherung an den anderen erlaubt. Ein großes Stück Vertrauen wurde zurückerobert.

Liebe ist nämlich nicht nur ein Gefühl. Jeder der Ehepartner muss sich auch bewusst für die Liebe und den Partner entscheiden. Das heißt, nicht aufzugeben, nur weil es gerade nicht rund läuft. Ist allerdings trotz guter Kommunikation keine Verständigung möglich und schmerzt die Ehe mehr, als sie langfristig glücklich macht, ist eine Trennung eventuell gesünder.

Balance in der Liebe

Liebe ist kein Kontinuum mit einem fixen Wert. In einer Ehe verliebt sich jeder in den anderen immer wieder, denn Emotionen unterliegen Schwankungen. Manchmal begründen sich die Schwankungen nicht in dem Partner selbst, sondern vielmehr in der Lebenssituation. Daher ist es wichtig, dass Paare füreinander Geduld aufbringen. Es müssen bewusst Gelegenheiten geschaffen werden, um die eigentlich bereits vorhandene Zuneigung wieder wachsen zu lassen. Hierzu gehört, neugierig auf den anderen zu bleiben und gemeinsam neuen Situationen zu begegnen.

Sehr treffend hat dies der Schweizer Schriftsteller und Architekt Max Frisch in einem seiner Tagebücher formuliert:

„Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am wenigsten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen. Wir wissen, dass jeder Mensch, wenn man ihn liebt, sich wie verwandelt fühlt, wie entfaltet, und dass auch dem Liebenden sich alles entfaltet, das Nächste, das lange Bekannte. Vieles sieht er wie zum ersten Male. Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis. Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden; weil wir sie lieben, solange wir sie lieben.“

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Photo by Allef Vinicius on Unsplash

Publiziert am 
Jan 18, 2023
 in Kategorie:
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